Kurze Beine laufen manchmal lange Wege

Warum manchen Kindern ein weiter Schulweg nicht erspart bleibt
Die neuen Schuleinzugsbereiche lösen bei manchen Eltern nur Kopfschütteln aus. Obwohl die Schule direkt nebenan liegt, sollen sie ihr Kind im kommenden Jahr in eine Schule in dem nächsten Stadtteil schicken. Betroffene Eltern wenden sich dann hilfesuchend an den Stadtelternrat, der um Verständnis wirbt und zu vermitteln versucht.

Kurze Beine – kurze Wege. Was Prämisse bei der Neueinteilung der Schuleinzugsbereiche sein sollte, ist nicht immer in Gänze umsetzbar. Ein Dilemma, vor dem Eltern und Stadtverwaltung alle Jahre wieder stehen. „Manchmal liegt die nächste Grundschule nur einen Steinwurf weit entfernt und doch wird das Kind einer zwei Kilometer weiter entfernten Schule zugewiesen“, weiß Annette Kirstein. Das führt verständlicherweise zu Unmut. Viele Eltern wenden sich dann hilfesuchend an sie. Als Vorsitzende des Stadtelternrates bündelt sie die Belange der Eltern und versucht Abhilfe zu schaffen. Hinsichtlich der Schuleinzugsbereiche bleibt aber nur eines: Sie versucht zu erklären. „Denn die meisten Eltern sehen nicht das große Ganze.“

Die Einteilung der Schuleinzugsbereiche sei im Grunde ein aufwendiges mathematisches Verfahren. „Jedes Kind wird erfasst und der Schulweg per Computer berechnet.“ Es handele sich dabei um ein Optimierungsverfahren, bei dem es darum geht, nicht einzelne Schulwege zu optimieren, sondern die Summe der Schulwege aller Magdeburger Einschüler. „Es kann also sein, dass ein Kind neben Schule A wohnt, aber einer entfernteren zugewiesen wird, damit andere Kinder nicht unzumutbar lange Wege zu einer Schule in Kauf nehmen müssen.“

Bei der Berechnung der neuen Schuleinzugsbereiche werden vor allem zwei grundlegende Ziele verfolgt. Erstens: Zwischen Wohnort und Schule sollten die Kinder nicht mehr als 30 Minuten benötigen. Ein Fußweg von zwei Kilometern gilt als angemessen. Bei der Nutzung von Bus und Bahn gilt die gleiche Zeit, die Wegstrecke kann aber größer ausfallen.

Zweitens: In den Klassen sollten nicht mehr als 22 Schüler, in Gebieten mit besonders vielen Kindern mit Migrationshintergrund nicht mehr als 17 Mädchen und Jungen lernen.

Entsprechend diesen Zielvorgaben sind die Schuleinzugsbereiche nun neu berechnet worden. Das Grundproblem, weswegen die Stadt sie jedes Jahr aufs Neue verschiebt, seien fehlende Kapazitäten dort, wo die Schüler wohnen. In Ostelbien zum Beispiel entstehe seit Jahren ein Neubaugebiet nach dem anderen. Stetig nehme so auch die Anzahl der Kinder zu, die dort wohnen. Das wiederum verschiebt die Schuleinzugsbereiche. „In Ostelbien steigen die Grundschülerzahlen. Deswegen wurde vor zwei Jahren beschlossen, dass eine Grundschule gebaut wird. Bis heute wurde damit nicht einmal angefangen. Es gibt in zwei Jahren dort aber mehr Einschüler, als Kapazität in Ostelbien vorhanden sind. Das heißt, dass diese Grundschüler über die Elbe in die dann nächstgelegene Schule müssen, vermutlich in die Weitlingstraße. Das wiederum bedeutet, dass Grundschüler, die eigentlich nähe Weitlingstraße wohnen, einer anderen Grundschule zugeordnet werden, damit die Grundschüler aus Ostelbien nicht nach Sudenburg oder weiter müssen. Sie machen also die Kapazitäten an anderen Schulen voll.“

Das Prinzip lässt sich stadtweit anwenden – also überall, wo Neubaugebiete entstehen, knirscht es. Doch gibt es Alternativen zu dieser Vorgehensweise? Annette Kirstein weiß: „Bisher jedenfalls keine, die die Zufriedenheit aller garantiert.“

Eine Alternative zur bisherigen Vorgehensweise wäre das Bilden von Clustern, so wie es vor ein paar Jahren in Stadtfeld als Pilotprojekt umgesetzt worden ist. Clustern bedeutet: Die Plätze an den Grundschulen im jeweiligen Stadtteil sind nur für die Kinder aus dem jeweiligen Stadtteil. Das führe jedoch dazu, dass es „beliebte“ und „weniger beliebte“ Schulen gibt. Dasselbe gilt, wenn man nicht clustert, sondern die Einzugsbereiche ganz aufhebt. „Beide Varianten führen zu einer Vielzahl weiterer Probleme. Beispielsweise: Nach welchen Kriterien wird entschieden, welche Kinder auf die ,beliebten‘ Schulen dürfen? Wenn es per Losverfahren entschieden wird, wie es jetzt bei den Fünftklässlern der Fall ist, kann es dazu kommen, dass Eltern erst Ende Juni oder im Juli erfahren, wo ihr Kind eingeschult wird“, erklärt sie. Denn Wahlfreiheit bedeute, dass auch mehrere Runden der Zuteilung benötigt werden. Es gebe nämlich zahlreiche verwaltungsrechtliche Schritte, die dann gegangen werden müssen. Hinzu kommt, dass Eltern ebenso wenig Sicherheit haben, dass ihr Kind an die bevorzugte Schule kommt.

Es ist und bleibt also ein Dilemma. Insbesondere, wenn Kinder trotz kurzer Beine dennoch lange Wege gehen müssen. Die Sorge der Eltern kann Annette Kirstein verstehen. Auch, wie es ein Vater in einer Zuschrift an die Volksstimme schilderte, die Sorge um die Zuverlässigkeit des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in Hinblick auf die zahlreichen Baustellen in der Stadt. „Wenn die Bahn ausfällt, kommt dann sofort ein Schienenersatzverkehr und sammelt die Schulanfänger ein? Wenn die Schüler laufen müssen, dann sind mehr als zwei Kilometer Schulweg mit einem Schulrucksack und einer Sporttasche relativ weit“, schreibt er. Nicht zuletzt kritisiert er die Kosten, die auf Eltern zukommen, die ihren Erstklässler mit dem ÖPNV zur Schule bringen – schließlich soll der innerstädtische Autoverkehr reduziert werden und die, wenn überhaupt vorhandenen, Radwege sind für Erstklässler unzumutbar. Beide Elternteile benötigen dann Tickets für Bus und Bahn. Ein berechtigter Einwand, wie die Stadtelternratsvorsitzende findet. Etwas, das sie im Bildungsausschuss vortragen werde. Denn letztlich wird nach wie vor an der Optimierung der Bedingungen gearbeitet.

Sie wollen wissen, in welche Grundschule Ihr Kind 2021 eingeschult wird? Unter www.volksstimme.de/schulbezirke.md21 können Sie nachschauen.

Volksstimme Magdeburg

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