Musikstunde mit Laptop und Mobiltelefon

Lehrer und Schüler einer Neustädter Musikschule meistern Herausforderungen durch Abstand

Durch die geschlossene Tür dringen gut verständliche Anweisungen. „Nicht zu schnell und die Achtel gleichmäßiger spielen!“ – eigentlich eine Unterrichtssituation wie an einem gewöhnlichen Nachmittag im Musik-Treff-Punkt am Magdeburger Nicolaiplatz. Doch im Flurbereich sitzen keine wartenden Schüler, und die Unterrichtsräume der Musikschule sind leer. Schulleiter Martin Steinhoff ist umgezogen und unterrichtet unter völlig neuen, nämlich interaktiven Umständen im heimischen Musikkeller.

„Corona-Office“ nennt der Klavier- und Keyboardlehrer sein Unterrichtsangebot. Er ist per Live-Chat mit seinen Schülern verbunden. Im virtuellen Unterrichtsraum nutzen seine Schützlinge ihr Handy oder den Laptop. Die Geräte werden seitlich ihrer Instrumente aufgebaut, so dass beide Hände und die Klaviatur beim Spielen gut zu sehen sind. WhatsApp bzw. Skype machen nun das Lehren und Lernen möglich.

„Der Instrumentalunterricht findet jetzt auf einer veränderten Ebene statt. Die vielen Informationen, wie zum Beispiel Spieltechnik, Sitzhaltung, Befindlichkeiten des Schülers und natürlich die gespielte Musik werden jetzt virtuell übermittelt. Oft ist die auditive Verbindung nicht optimal“, beschreibt Martin Steinhoff die Besonderheiten, mit denen er und seine Kollegen aktuell konfrontiert werden. „Weil ich als Lehrkraft nicht vorzeigen oder mitspielen kann, nimmt die verbale Erklärung den größten Raum ein.“

Intensiveres Üben
Dieser anstrengenden Methodik kann Gitarrenlehrerin Anja Trinks aber auch positive Seiten abgewinnen: „Der Kontakt mit den Eltern der Mädchen und Jungen ist viel intensiver geworden. Oft sitzen diese bei den Lektionen dabei.“ Besonders erfreulich sei, dass die meisten Schüler deutlich intensiver üben.

Zudem haben die Instrumentallehrer die Möglichkeit, hilfreiche Hinweise zur häuslichen Übesituation zu geben. „Gerade die jüngeren Schüler sitzen nicht optimal am Instrument. Der Osterhase hat schon den ein oder anderen Tipp von mir bekommen“, resümiert Martin Steinhoff den virtuellen Blick auf den ein oder anderen Übungsplatz. Ebenfalls bemerkenswert ist, dass viele erwachsene Schüler durch die veränderte Arbeitssituation mehr Zeit für ihr Instrument aufbringen.

„Was aber Lehrkräfte und Schüler gleichermaßen vermissen, ist das gemeinsame Musizieren. Skype funktioniert eben nur, wenn einer spielt. Zusammen geht nicht, sonst fressen sich die Töne gegenseitig auf.“ Aber auch hier gibt es Übergangslösungen, die zeitweise hilfreich sein können. Die Instrumentallehrer nehmen Einzelstimmen als Audioaufnahme auf, so dass die Schüler dieses Material zum Mitspielen nutzen können.

„Und auch das Zuhören hat eine neue Bedeutung gewonnen“, beschreibt Anja Trinks eine häufige Situation. „Spiel noch mal“, heißt inzwischen nicht mehr nur: du hast etwas noch nicht ganz richtig gespielt, sondern es ist akustisch nicht ganz angekommen.“

Lehrer „sitzt“ daneben
Boris Majewski lernt seit vierzehn Jahren Klavier. Den aktuellen Unterrichts-Chat schließt er heute mit der Improvisation eines Gospels ab. „Etwas für die Seele spielen“, wie der Zwanzigjährige erklärt. Der Azubi hat sich schnell mit der neuen Situation arrangiert und stellt sich einfach vor, dass der Lehrer neben ihm sitzt.

Die angehende Erzieherin Anett Quartier kann sich zwar mit der außergewöhnlichen Unterrichtssituation anfreunden, weiß aber, dass sie im Beisein des Lehrers besser lernt.

Die Lehrkräfte stellen nach drei Wochen übereinstimmend fest, dass jüngere Schüler meist keine Berührungsängste mit Skype-Technik und Lehrer-Tutorial haben. Bereits vor der Schulschließung nutzten einige von ihnen aufgenommene Video-Sequenzen zum häuslichen Üben.

Im Übrigen konnten fast alle Instrumentalschüler für den Chat-Unterricht gewonnen werden. Allen anderen bietet die Musikschule das Nachholen der Unterrichtsstunden an.

Volksstimme Magdeburg

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