Noch mehr Unterricht auf der Kippe

Lehrermangel in Sachsen-Anhalt groß wie nie / Maskenpflicht und Tests entfallen

Für rund 209000 Schüler in Sachsen-Anhalt beginnt morgen nach sechs Wochen Sommerferien das neue Schuljahr. Die Personalnot an den Schulen wird dabei groß wie nie sein, räumt Bildungsministerin Eva Feußner ein. Auch die Corona-Pandemie und die Energiekrise zählt Feußner zu den Herausforderungen des neuen Schuljahres.

Nach jahrelanger Talfahrt wird die Personalausstattung an Sachsen-Anhalts Schulen im neuen Schuljahr einen weiteren Negativrekord erreichen: Die Unterrichtsversorgung dürfte über alle Schulformen hinweg nur noch bei 92 Prozentliegen, sagte Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) gestern in Magdeburg. 267 Schulen (34 Prozent) der rund 870 Schulen im Land erreichen demnach nicht einmal mehr den Wert von 90 Prozent. Schulformbezogene Zahlen lägen zwar noch nicht vor. „Sie können aber davon ausgehen, dass die Sekundar-, Gemeinschafts- und Förderschulen besonders betroffen sind“, sagte Feußner.

Die Unterrichtsversorgung gilt als zentrale Größe für die Personalausstattung der Schulen – und als Gradmesser für den Lehrermangel im Land. Im vergangenen Jahr hatte der Wert noch bei 94 Prozent gelegen. Ziel der Koalition aus CDU, SPD, FDP sind 103 Prozent, um Unterricht auch bei Erkrankung oder Klassenfahrten von Kollegen vertreten zu können. Noch seien die Zahlen vage, betonte die Ministerin. Sie räumte aber ein, es sei erneut mit mehr Unterrichtsausfall zu rechnen. Feußner verwies auf Gegenmaßnahmen. So habe das Land in diesem Jahr 758 Lehrer eingestellt, hinzu kämen 349 Seiteneinsteiger. Weil gleichzeitig aber 700 bis 1000 Lehrer pro Jahr aus dem Beruf ausscheiden und die Schülerzahlen auf 209000 steigen (um knapp 9000), fällt die Gesamt-Bilanz negativ aus. Wegen der Lage und wegen der Ansiedlung des Chipriesen Intel in Magdeburg strebe sie als eine Antwort die Aufstockung der Lehramtsausbildung auch an der Universität Magdeburg an, sagte Feußner.

● Lehrerausbildung & bessere Bezahlung: Das Wissenschaftsministerium hatte erst kürzlich eine Aufstockung der Erstsemesterplätze an der Uni Halle um 200 auf dann 1000 zum Herbst angekündigt. Eine Erhöhung auch an der Uni Magdeburg (bislang 200 Plätze) lehnte das Haus von Armin Willingmann (SPD) mit dem Hinweis auf frei gebliebene Studienplätze in der Landeshauptstadt zugleich aber ab. Auch eine von Feußner geforderte Besserbezahlung von Grundschullehrern, die Pädagogen halten könnte, scheint vorerst vom Tisch. „Im Haushalt sind finanzielle Mittel dafür nicht vorgesehen“, sagte Feußners Parteikollege Finanzminister Michael Richter gestern auf Volksstimme-Anfrage. Feußner wollte Grundschulpädagogen statt der bislang üblichen Tarifstufe A12 die A13 zahlen, um im Wettbewerb mit den Nachbarbundesländern attraktiver zu werden. Sachsen etwa zahlt die A13.

● Corona-Pandemie: Neben dem Lehrermangel zählt die Bildungsministerin erneut die Corona- Pandemie zu den Herausforderungen des neuen Schuljahres. Schulschließungen soll es dabei möglichst nicht geben, sagte Feußner. „Oberstes Ziel ist der Schulbetrieb in Präsenz.“ Die Maskenpflicht in Schulgebäuden entfällt aber. Auch die bislang üblichen, Pflichtschnelltests zweimal pro Woche für Schüler und Lehrer fallen weg. An ihre Stelle treten übergangsweise freiwillige Stichproben. In einer Studie werden zehn Wochen lang insgesamt 1000 Schüler an landesweit 30 Schulen mittels PoC-PCR-Tests getestet. Gelüftet werden soll im Winter, wenn vorhandene CO2-Ampeln in den Klassenräumen auf „Rot“ umspringen. Die strenge Auflage, alle 20 Minuten zu lüften, entfällt. Sollte sich die Infektionslage zuspitzen, behält sich das Bildungsministerium strengere Auflagen vor.
● Energiekrise: Die Schulen sollen nach dem Willen Feußners bei der Gas-Versorgung Priorität genießen. „Wir wollen eine Mindesttemperatur von 20 Grad Celsius in den Räumen beibehalten.“ Von der im Gasnotfallplan der EU-Kommission empfohlenen Absenkung der Raumtemperaturen auf 19 Grad, sollten die Schulen ausgenommen werden.
● Reaktionen: Linke-Politiker Thomas Lippmann, warnte angesichts der Personalnot: „Noch mehr Schulen werden nicht mehr in der Lage sein, die Stundentafel zu erfüllen. An den Sekundarschulen dürfte die Unterrichtsversorgung bei nur noch 85 Prozent liegen.“ Eva Gerth, Chefin der Gewerkschaft GEW, forderte, auch Seiteneinsteigern mit nur einem Fach ein Referendariat zu ermöglichen. Einsteigern mit Bachelor-Abschluss müssten zudem verbesserte Perspektiven eröffnet werden. Bislang sind für ein Referendariat zwei Fächer nötig. Feußner kündigte an, Bachelor künftig nach einem Jahr zu entfristen, wenn sie sich im Gegenzug verpflichten, ein Unterrichtsfach für Sekundarschulen belegen.

Volksstimme Magdeburg

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