Seiteneinsteigerin erzählt von ihrem Start an Olvenstedter Grundschule
Der Lehrermangel wird auch in Sachsen-Anhalt mit Seiteneinsteigern bekämpft. Eine junge Sportlehrerin erzählt von den Herausforderungen als ungelernte Kraft und warum sie sich vom Land „ins kalte Wasser geworfen“ fühlt.
Wie führt man ein Klassenbuch? Wie beginne ich ein Eltern-Gespräch? Und wie geht man mit 30 Erstklässlern einer Klasse um? Diese Fragen stellte sich Jessica Schisnowski, als sie vor einem Jahr als Seiteneinsteigerin an die Grundschule „Am Fliederhof“ kam. Die 32-Jährige hat sich für einen Quereinstieg als Lehrkraft entschieden. Wie läuft das aber ab, wenn jemand mit wenig Erfahrung plötzlich die gleiche Rolle hat, wie diejenigen, die dafür ein jahrelanges Lehramtsstudium absolviert haben? „In vier Wochen Vorbereitungskurs werden viele Themen nur angerissen. Als ich dann an die Schule kam, waren noch zu viele Fragen offen“, erzählt sie. Dort würde zum Beispiel ein Überblick über rechtliche Grundlagen, Didaktik, Pädagogik und den Lehrplan gegeben werden. Auch eine Praxiswoche sei vorgesehen – in der sei die junge Magdeburgerin allerdings wegen Corona in Quarantäne gewesen.
Praktische Erfahrung in Schulen hatte sie bis dahin keine. Zwar wollte Jessica Schisnowski nach dem Abitur Lehramt studieren, doch sei der Numerus clausus zu hoch gewesen und sie von dem Wunsch wieder abgekommen. Stattdessen hat sie Gesundheitsförderung und –ökonomie studiert und anschließend im Sportbereich gearbeitet. „Als die Pandemie begonnen hat, war mir das jedoch zu unsicher. Dann kam mir Lehramt wieder in den Kopf“, sagt Schisnowski. Im September 2021 habe sie sich beim Land Sachsen-Anhalt als Seiteneinsteigerin beworben – rund ein halbes Jahr später war sie Sportlehrerin an der Olvenstedter Grundschule. „Die Seiteneinsteiger werden vom ersten Tag an als volle Lehrkraft gewertet und mit 27 Unterrichtsstunden eingesetzt“, erklärt Michael Ahnert, Schulleiter der Grundschule „Am Fliederhof“. Mit Vor- und Nachbereitung sowie Korrekturen sei das eine 40-Stunden-Woche. „Vom Land wird man ins kalte Wasser geschmissen. Nach Der Lehrermangel wird auch in Sachsen-Anhalt mit Seiteneinsteigern bekämpft. Eine junge Sportlehrerin erzählt von den Herausforderungen als ungelernte Kraft und warum sie sich vom Land „ins kalte Wasser geworfen“ fühlt. einer Woche Unterricht dachte ich, dass ich den Ordner vom Vorbereitungskurs quasi wegwerfen kann“, sagt sie. Der Grund, weshalb sie nach einem Jahr noch unterrichtet, sei das schulinterne Einstiegsprogramm gewesen. Sie hätte dort mit erfahrenen Lehrkräften mitlaufen können, habe hospitiert und sich auch für ihren eigenen Unterricht immer wieder Rückmeldungen eingeholt. Von Landesseite ist dieser Vorgang jedoch nicht vorgeschrieben.
„Es ist natürlich wünschenswert, dass Seiteneinsteiger in ihrer Schule so eine Unterstützung bekommen. Das ist das Ideal. In der Praxis ist das jedoch oft nicht leistbar“, erklärt Tobias Kühne, Pressesprecher des Landesschulamtes SachsenAnhalt. Der Mangel an Lehrkräften sei zu ausgeprägt und daher oft keine Zeit für Hospitanzen. Aber genau das würde sich Seiteneinsteigerin Jessica Schisnowski wünschen. „Ohne diese Unterstützung in der Praxis wäre ich nicht mehr hier“, sagt sie. „Zu Beginn war ich mit einigen Situationen überfordert. Ich weiß von Seiteneinsteigern an anderen Schulen, dass es ihnen ähnlich erging.“ Überforderung habe es an unterschiedlichen Punkten gegeben: Vor- und Nachbereitung, Elterngespräche und Klassenbuchführung beispielsweise seien sehr zeitaufwendig. „Aber auch die großen Klassen mit bis zu 30 Kindern sind eine Herausforderung. Die Probleme der Kinder sind vielschichtig. Die Sorgen sind oft ernster als nur ungemachte Hausaufgaben“, sagt die Seiteneinsteigerin.
Beispiel Kinder aus bildungsfernen Haushalten oder die in Heimen aufwachsen. Die Lernvoraussetzungen der Kinder seien daher sehr unterschiedlich. Trotz der Herausforderungen sei es „Stand jetzt die richtige Entscheidung“ gewesen. Mittlerweile hat Jessica Schisnowski eine eigene erste Klasse übernommen. Ihr Weg zur Lehrkraft sei jedoch noch nicht abgeschlossen. „Ich strebe eine Unterrichtserlaubnis an. Dafür müsste ich wöchentlich einen Kurs belegen, um danach ein Referendariat zu machen“, sagt sie. Das habe zum Vorteil, dass sie damit eine Verbeamtung bekommen könnte. Wie viele Menschen sich in Magdeburg für den Weg über den Seiteneinstieg entscheiden, sei nicht bekannt. Diese spezifischen Zahlen zu Bewerbern und Abbrechern würden für Magdeburg „nicht erhoben werden“, wie es auf Volksstimme-Nachfrage bei dem Landesschulamt heißt. „Grundsätzlich kann man sagen, dass der Anteil der Seiteneinsteigenden in den Schulen in den vergangenen Jahre zugenommen hat“, sagt Tobias Kühne. DerAnteil an Seiteneinsteigern sei an Grundschulen tendenziell höher als an Gymnasien beispielsweise. Das liege unter anderem daran, dass es mehr Lehramtsabsolventen für den Gymnasialzweig gebe.
In Sachsen-Anhalt seien es Ende 2022 insgesamt 1334 Seiteneinsteiger gewesen, 150 davon haben in Sachsen-Anhalt im vergangenen Jahr ihre Tätigkeit wieder beendet, wie der Pressesprecher bekannt gibt. Die Gründe seien unterschiedlich: Umzug, Krankheit oder die Feststellung, dass der Beruf nicht passt. Von den 150 Menschen hätten laut Landesschulamt immerhin über die Hälfte selbst gekündigt. „Wir haben seit mehreren Jahren immer wieder Seiteneinsteiger. Daraus konnten wir auch lernen, wie der Umgang am sinnvollsten ist“, sagt Schulleiter Ahnert. Trotzdem wünsche er sich, dass der Einstieg auch vom Land erleichtert wird: „Das zusätzliche Personal für die Begleitung freizuschaufeln ist schwer. Der Seiteneinstieg müsste vom Land direkt praxisnäher geplant werden.“
Volksstimme Magdeburg