Die „Eltern-Uni“ in Halle lädt Eltern von Grundschulkindern dazu ein, kontroverse Themen aus dem Schulalltag kennenzulernen. Schon der erste Termin war sehr gefragt.
Noten, Hausaufgaben oder Unterrichtsplan: Themen wie diese sind bei Eltern nicht nur durch ihre schulpflichtigen Kinder, sondern vor allem aufgrund der eigenen Schulzeit präsent. „Eltern meinen, mitreden zu können, weil sie Schule ja selbst erlebt haben“, sagt auch Thekla Mayerhofer, Vorsitzende des Grundschulverbands in Sachsen-Anhalt. So sei die Sicht auf die Bewertungen oder Lernkonzepte oft eher die mittlerweile erwachsener Schüler – und wenig wissenschaftlich fundiert. „Dadurch ist der Diskurs oft sehr oberflächlich“, sagt Mayerhofer. Um das zu ändern, hat der Grundschulverband in Sachsen-Anhalt das Format der „Eltern-Uni“ ins Leben gerufen.
Einmal im Quartal findet eine Veranstaltung statt, die jeweils eineinhalb Stunden dauert. Die Idee dazu kursierte schon länger im Verband: „In der Sitzung im vergangenen November kam sie dann wieder einmal auf den Tisch“, sagt Mayerhofer. „Innerhalb von kürzester Zeit standen das Programm und die Experten und Expertinnen, die wir dafür einladen wollten.“ Mit beteiligt sind die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und die Franckeschen Stiftungen, die den Raum für die Veranstaltungen zur Verfügung stellen.
Große Resonanz. Muss es unbedingt Noten geben? Das Thema der ersten Veranstaltung, die Anfang März stattfand, war die Leistungsbewertung in Schulen. Das Format richtet sich primär, aber nicht ausschließlich an Eltern von Grundschulkindern. „Die Resonanz war sehr groß, größer auch als erwartet“, sagt Mayerhofer. „Es waren vorwiegend Eltern da, daneben aber auch Lehrkräfte, die hören wollten, was die Eltern zu sagen haben.“ Dabei sei deutlich ein gewisser Unmut zu spüren gewesen: „Bei vielen Eltern herrscht Unverständnis, auch weil für sie oft nicht nachvollziehbar ist, warum Leistung unbedingt mit Noten gemessen werden muss.“
Auch persönliche Erfahrungen spielen dabei eine Rolle: So erzählt Mayerhofer von einer Mutter, deren Kind in der dritten Klasse in einem Schulfach jede Stunde einen Test schreibe. Die Eltern-Uni zeigte, dass hinter dieser „Notenflut“ die Rechtfertigung steht: „Um gerecht bewerten zu können, braucht man viele Noten“,sagt Mayerhofer. „Dem ist aber nicht so! Und ich verstehe, dass Eltern das häufige Testen aufwühlt.“ Ein wichtiger Aspekt dabei: „Das Schulsystem mit den Noten ist schon Hunderte von Jahren alt“, sagt Mayerhofer. Tatsächlich geht es auf die Jesuiten zurück, die im 16. Jahrhundert in ihren Klosterschulen ein fünfstufiges Notensystem einführten. „So dienten Noten – überspitzt gesagt – dazu zu entscheiden, wer weiter die Schule besuchen durfte und wer wieder zurück aufs Feld musste“, sagt Mayerhofer. Mittlerweile ist das aber nicht mehr zeitgemäß.
„An vielen Stellen haben sie eher eine Disziplinierungsfunktion“, kritisiert Mayerhofer, „nach dem Motto: ,Wenn du dich nicht anstrengst, kriegst du keine guten Noten’ oder von Lehrerseite: ,Wenn ihr nicht mitmacht, sammle ich das ein und benote es.“ Als viel sinnvoller erachtet sie einen guten Unterricht, der dafür sorge, dass die Kinder allein aufgrund ihrer Neugier und Entdeckerfreude lernen. Darüber hinaus sieht sie es auch im Hinblick auf die Zukunft als überholt, sich so stark auf bestimmte Fächer und ihre Benotung zu fokussieren: „Auf einem internationalen Arbeitsmarkt, der so facettenreiche Möglichkeiten bietet, dass Schulfächer das gar nicht mehr abbilden können, sind Noten einfach unglaublich überholt.“
Was anstelle von Noten funktioniert, sind Mayerhofer zufolge ein regelmäßiges Feedback von seiten der Lehrer und Lehrerinnen: „Diese Rückmeldung zeigt den Schülern und Schülerinnen deutlich, wo sie gerade stehen, was sie gut gemacht haben oder an welchen Stellen bestimmte Maßnahmen erforderlich sind, die dem Kind in seiner Entwicklung helfen.“ Als anschauliches Beispiel diente während der ersten Eltern-Uni die „Freie Schule Bildungsmanufaktur“ in Halle, die zur gemeinnützigen Riesenklein GmbH gehört und auf Ziffernoten verzichtet.
Auch die kommenden drei Veranstaltungen halten Spannendes bereit. Bei der nächsten Eltern-Uni am 16. Juni geht es um das bei Schülern wie auch Eltern oft unbeliebte Fach Mathematik. „Mathe kann man oder man kann es nicht“ heiße es oft,sagt Mayerhofer vom Grundschulverband Sachsen-Anhalt, oder auch: „Wenn man es nicht kann, hat man halt Pech und Mathe ist ein Arschloch.“ Und so komme es, dass die Kinder für die Hausaufgaben gerne einfach den Taschenrechner oder die intelligente Software Siri verwendeten. Dass das auch anders geht, zeigt bei der Veranstaltung der Experte Wolfgang Grohmann. Er ist selbst Grundschullehrer und Fachseminarleiter am Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen-Anhalt (LISA) in Halle, das Qualität an Schulen evaluiert und durch gezielte Maßnahmen verbessert.
„Er wird vor allem darüber sprechen, was Mathe-Unterricht leisten muss und wie Kinder darin Kompetenzen erwerben die ihnen nicht nur für die Schule, sondern für die Allgemeinbildung und letztlich das Leben etwas bringen“, sagt Mayerhofer vom Grundschulverband. Ihre Hoffnung sei es, Eltern zu zeigen, dass es auch in Mathe nicht nur den einen richtigen Weg gebe, sondern viele Lösungsansätze. „Am Ende soll es einfacher fallen, das Fach lieben zu lernen“, sagt sie. In den beiden letzten Veranstaltungen geht es um Rechtschreibung und Digitalisierung im Schulalltag. Auch hier sind Eltern eingeladen, ihr Wissen zu erweitern und Neues zu erfahren. Darüber hinaus sieht Mayerhofer vom Grundschulverband das Format als Einladung an die Eltern, sich besser mit den Lehrkräften zu vernetzen: „Wir wünschen uns eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Eltern“, sagt Mayerhofer, „mit dem gemeinsamen Ziel, jedem Kind gerecht zu werden, sodass es sein volles Potenzial ausschöpfen kann.
Volksstimme Magdeburg