Warum viele Seiteneinsteiger scheitern

Ein Drittel der Neu-Lehrerin Sachsen-Anhalt hört wieder auf/Opposition fordert Erleichterungen

Knapp1000 Lehrer fehlen in Sachsen-Anhalt. Das Bildungsministerium setzt so stark auf Seiteneinsteiger wie nie, um die Lücken zu füllen. Doch rund ein Drittel hört bereits im ersten Jahr wieder auf: eine Altmärkerin über den schweren Einstieg in den Lehrerjob–und darüber, was sie bislang dabei bleibenließ.

Kein anderes Bundesland setzt im Kampf gegen den Lehrermangel so stark auf Seiteneinsteiger wie Sachsen Anhalt: Mit 459 unbefristet eingestellten Bewerbern war im Vorjahr fast jeder zweite (46,9 %) Neu-Lehrer kein klassisch ausgebildeter Pädagoge mehr. Ähnlich hohe Anteile haben laut Statistik der Kultusministerkonferenz nur noch Brandenburg (38,8 %) und Mecklenburg-Vorpommern (37,5 %). Auch in absoluten Zahlen hat nur das deutlich bevölkerungsreichere Nordrhein-Westfalen (knapp 18 Millionen vs. 2,3 Mio. Einwohner) noch mehr Seiteneinsteiger eingestellt (649).

Viele geben allerdings schon nach kurzer Zeit wieder auf: Laut Bildungsministerium schieden allein im vergangenen Jahr 150 der 459 neu eingestellten Seiteneinsteiger wieder aus – fast ein Drittel. Jeannette Krebs gehört zwar nicht zu ihnen, aber sie kann eine Reihe von Gründen nennen, die es Einsteigern wie ihr schwer machen. Seit Mai ist die Diplom Ingenieurin für Analytische Chemie Seiteneinsteigerin am Gymnasium im altmärkischen Beetzendorf. Nach einem vierwöchigen Grundlagenkurs ging es direkt in den Unterricht. „Die Vorbereitung war völlig unzureichend“, sagt die 40-Jährige heute. „Ich finde es unglaublich, dass Seiteneinsteiger an weiterführenden Schulen in Sachsen-Anhalt sofort mit 25 Unterrichtsstunden pro Woche, also in Volllast, einsteigen müssen.

“Im Vergleich zu Referendaren, die nach mehreren Jahren Studium und Erfahrungen in Praktika mit nur 12 Stunden beginnen, sei das viel zu viel. Damit nicht genug: „Viel Material zur Unterrichtsvorbereitung haben wir uns im Grundlagenkurs selbst zusammensuchen müssen“, sagt Krebs. Sie selbst habe das Glück gehabt, an ihrer Schule von einer „tollen Mentorin“ begleitet worden zu sein. „Sie hat mir ihr Material gegeben, am Anfang Tests mit mir erstellt, sich drei, vier Stunden pro Woche Zeit für mich genommen.“ Das aber sei längst nicht bei jedem so. Die Gewerkschaft GEW kritisiert deshalb die Begleitung der Neu-Lehrer: „Seiteneinsteiger sollten wenigstens ein halbes Jahr weniger, vielleicht sogar nur die Hälfte des normalen Pensums unterrichten und bei erfahrenen Kollegen hospitieren“, fordert Landeschefin Eva Gerth. „Hochbelastend“, nennt auch Linke-Politiker Thomas Lippmann das Pensum.

Hinzu komme, dass Seiteneinsteiger mit unter Klassenleiterfunktionen übernehmen und fachfremd unterrichten müssten. All das führe zu den viel zu hohen Abbruch-Zahlen. „Das Reservoir ist begrenzt, wenigstens die Hälfte derer, die gescheitert sind, hätten wir halten müssen“, betont Lippmann. Das Bildungsministerium widerspricht: Fachfremden Unterricht und die Übertragung von Klassenleiteraufgaben gebe es nur in Einzelfällen. „Bei der Einarbeitung von Seiteneinsteigenden wird eine Willkommenskultur gepflegt, die eine möglichst schnelle Einbindung in den Schulalltag gewährleistet“, teilt das Haus von Eva Feußner (CDU) weiter mit. So stehe den Neu-Lehrern neben dem Grundlagenkurs während des ersten Jahres eine Begleitung durch Mentoren im Umfang von weiteren 100 Stunden zu.

Das Landesinstitut für Schulqualität biete zentral Unterstützung an. Aktuell würden zudem pensionierte Lehrer angesprochen, um Seiteneinsteiger besser zu begleiten. Deren Zahl könnte zum neuen Schuljahr noch steigen: Am31. Juli endet eine Ausschreibung, bei der sich erstmals auch Nicht-Akademiker bewerben konnten. Der Bedarf ist hoch: Zuletzt fehlten knapp 1000 Lehrer für eine ausreichende Versorgung. Jeannette Krebs will bleiben und sich durchbeißen, wie sie sagt: Der Lehrerberuf sei sehr sinnstiftend, erzählt sie.„Früher als Chemikerin habe ich dafür gesorgt, reiche Firmen noch reicher zu machen, jetzt unterrichte ich Kinder und bekomme direkt Feedback.“ 25 Unterrichtsstunden pro Woche aber seien zu viel. „Weil ich das nicht schaffen würde, habe ich mich für einen Teilzeitvertrag mit 15 Stunden entschieden“, sagt sie. Auch damit sitze sie noch täglich drei bis vier Stunden an Vor- und Nachbereitung. Sommerferien? Die braucht sie für die Vorbereitung des neuen Schuljahres, sagt die Altmärkerin.

Volksstimme Magdeburg

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